scanner erster prototyp  

Im angelsächsischen Begriff des Interfaces treffen sich nicht nur einfach zwei Oberflächen, sondern auch zwei Gesichter. Zwei unterschiedliche Körper, Welten, normalerweise getrennte Entitäten begegnen einander, wenden sich einander zu, greifen ineinander und erzeugen durch dieses Zusammentreffen etwas Drittes. Schnittstellen sind dramatische Orte. Sie sind Orte der Differenz zwischen dem Einen und dem Anderen.

Die Interfaces , die Agnes Meyer-Brandis auf ihrem Forschungsfloß entwickelt, sind Artefakte des heimlichen Lauschens und des voyeuristischen Beobachtens. Sie sind Schnittstellen zu Welten, die uns gemeinhin verborgen sind oder gezielt vor uns verborgen gehalten werden: wunderschöne unterirdische Korallenriffe, die es nach Ansicht der Künstlerin und Leiterin des Forschungsinstituts nicht nur am tiefen Meeresgrund oder in besonderen Höhlen an den Küsten gibt, sondern die ubiquitär (allerortens) sein können und ständig wandern. Als nomadische Ansammlungen von Hohltieren mit Kalkskeletten können sie sich unterirdisch überall dort ausbreiten und aufhalten, wo große Mengen Wassers sind. Solche Möglichkeitswelten benötigen besonderen Schutz und besondere Fürsorge. Als Schatten der sichtbaren terrestrischen Welt sind sie ungeheuer viel schöner als die greifbare Wirklichkeit. Aber gerade deshalb sind sie auch permanent gefährdet. In ihrem Bestreben, auch noch die letzten Restbestände des noch nicht Vermenschlichten zu humanisieren, greifen die mit Sprache und Instrumenten für die Arbeit ausgestatteten Erdbewohner immer mehr in die sie umgebenden Möglichkeitswelten ein und machen sie zum Bestandteil ihrer eigenen Realität, bedrängen sie, unterwerfen sie, annektieren sie oder zerstören sie gar.
Deshalb sind die Interfaces, die Agnes Meyer-Brandis entwickelt und baut, von spezieller Anmut und keine Eindringlinge. Sie haben medialen Charakter. Es sind Suchgeräte für Möglichkeitswelten, sensible Ausdehnungen für unsere sinnlichen Organe, ohne die uns die mundus subterraneus, jene unterirdische Welt, nach der Athanasius Kircher im Dreieck der Vulkane Aetna, Stromboli und Vesuv schon vor mehr als 350 Jahren geforscht hat, unzugänglich und völlig unbekannt blieben. Kircher tat dies wie ein Astronom, der den Blick umkehrte. Er richtete ihn nicht auf die rätselhaften Erscheinungen von Planetensystemen, Sternenmeeren oder Milchstraßen, sondern auf die unterirdischen Feuer, die Eruptionen und Verschiebungen, die sie unter dem Meeresgrund oder subterrestrisch verursachen. Die Hörrohre, Lauschtrichter, Bildschirme und Sehkanäle, die im Institut für Riffologie entwickelt werden, können wir somit auch als Sonden einer verkehrten Astronomie, als feine mareonomische Instrumente begreifen.
Der eigens für das Earth-Core-Laboratory in Linz entwickelte Bohrkernscanner für das Aufspüren und die Erforschung des Lebens von Elfen in den unterirdischen Riffen, ist ein besonders schönes Exemplar behutsamer Interfaces. Er funktioniert taktil nur auf der Seite des Benutzers, aber ohne dass die zu beobachtenden Objekte selbst berührt werden oder sich angegriffen fühlen könnten; in den Ausmaßen ist er extrem reduziert, unscheinbar eher, und steht so im Kontrast zu den üppigen Welten, für deren Entdeckung und Erforschung er als Instrument dient."


(Siegfried Zielinski)

ars katalog